MONTE CHRISTO E.V.
Engagement für Fehlerkultur in der Justiz

Babenhäuser Zeitung Leserbrief vom 21.07.2011

Tragisches Skandal-Urteil im Mordprozess!

Menschen machen Fehler! Das ist nun einmal so.

Bei Ärzten und Richtern wünscht man sich mehr als bei anderen Menschen, nicht von Ihren Fehlleistungen betroffen zu sein. Opfer sind die Folge!

Der grausamen Tat in Babenhausen aus dem April 2009 mit den zwei Mordopfern haben Staatsanwalt und Richter weitere Opfer hinzugefügt: ein unschuldig zu "Lebenslänglich" Verurteilter, und die Familie, der sie den Vater dauerhaft entziehen möchten.

Im Ermittlungsverfahren um den Mord am Ehepaar T. gab es zu keinem Zeitpunkt einen Beweis für eine Straftat des benachbarten Familienvaters. Schon während der Ermittlungen habe ich gelernt, dass dies in unserem Rechtsstaat alleine nicht genügt, um als unschuldig zu gelten. Zahlreiche "Indizien" wurden "ermittelt". Waghalsige Begründungen wurden für nichtsagende "Ermittlungsergebnisse" geliefert, die gesundem Menschenverstand Hohn spotten.

Verhaftung in Chicago-Manier und verhängte Untersuchungshaft sollten offensichtlich eine Reaktion beim vermeintlichen Täter auslösen - Ermittlung in andere Richtungen sparte man sich einstweilen. Die "Reaktion" blieb aus - Ermittlungen in andere Richtungen leider auch. Jedes einzelne Indiz, so lächerlich es auch sein mochte, wurde im Lauf der Verhandlung durch meist von der Verteidigung veranlasste (weil durch die Staatsanwaltschaft bis dahin unterlassene) Untersuchungen widerlegt oder entkräftet.

Für jeden Prozessbeobachter gesunden Menschenverstandes war klar, dass das Indiziengebäude gegen Andreas D. schon lange kein Gebäude mehr war, sondern allenfalls ein eingestürztes Zelt.

War schon die von Pleiten, Pech und Pannen geprägte Ermittlungsarbeit skandalös, setzt das vom Richter verkündete Urteil dem Fass die Krone auf! Als wollte er das Sprichwort untermauern, dass auf hoher See und vor Gericht alles in Gottes Hand liegt, zaubert er als "Halbgott in Schwarz" ein Urteil aus dem Hut, welches die aufopferungsvoll kämpfende Ehefrau mit den zwei Verteidigern nur als Schlag ins Gesicht empfinden können.

Nichts unterscheidet uns von Unrechtssystemen über die wir die Nase rümpfen, wenn bei scheinbarer Rechtsstaatlichkeit einseitige Ermittlungen und das Ignorieren eindeutig entlastender Momente ein solches Urteil zulassen können.

Während der letzten Monate habe ich mich mit Prozessverlauf und Aktenlage befasst. Soweit mein Beruf es zugelassen hat, habe ich auch persönlich einige Verhandlungstage am Landgericht in Darmstadt verfolgt. Daher erlaube ich mir diese Wertung. Als juristischer Laie und Freund der in die Mühlen der Justiz geratenen Familie wohlgemerkt. Versehen lediglich mit gesundem Menschenverstand und 25 Jahren Qualitätsmanagement-Erfahrung - aber mit Qualität hatte dieses Verfahren ja nichts zu tun!

Einziger Lichtblick in diesem Drama ist, dass es ein Revisionsverfahren geben wird. Eine Chance noch für die Justiz, den Schaden, den sie bislang schon angerichtet hat, nicht noch weiter anwachsen zu lassen.

Familie D. wünsche ich die Kraft, trotz dieser bitteren Erfahrung mit unserer Gerichtsbarkeit, die nächste Runde anzugehen. Die Unterstützung ihrer Freunde haben sie!

Vielleicht kommt ja auch der Staatsanwalt zwischenzeitlich zu der Erkenntnis, dass es vielleicht für seine Karriere egal sein mag, wer verurteilt wird, nicht aber für sein Gewissen und das Sicherheitsempfinden der Babenhäuser Bürger.

Josef Seidl, Babenhausen